RE Himalayan: das Island-pferd unter den Adventure Bikes

Eine voll gepackte RE Himalayan
Eine voll gepackte RE Himalayan

Was unter den Pferden der Isländer ist, ist in der Welt der Reise Enduros oder Adventure Bikes die Himalayan: niedrig, robust, genügsam, vielseitig und geländegängig. Allgemein erhält die Himalayan in den mittlerweile unzähligen Reviews gute Kritiken.

First published: 10/01/2021 | Last update: 04/02/2021

Allerdings liegt das auch daran, dass über die oft erwähnten Kritikpunkte mit einem Verweis auf den wirklich günstigen Anschaffungspreis drübergebügelt wird. Dabei sind viele Kritikpunkte auch aus rein technischer Sicht gar nicht gerechtfertigt, finde ich. Das Motorrad ist mit Blick auf einen konkreten Einsatzbereich konzipiert worden, dass vielfältige Eigenschaften erfordert. Vielfalt bedeutet aber auch, dass das Gefährt zwar in allen Bereichen zufriedenstellend abschneidet, aber eben nirgendwo besonders hervorsticht.

Endurospezialisten kritisieren meistens das hohe Gewicht (ca. 190 kg) und den niedrigen Bodenabstand (22 cm), äussern sich aber in der Regel sehr lobend über die gute Strassentauglichkeit. Fahrer von Strassenmaschinen oder für europäische Strassenverhältnisse konzipierte Reiseenduros beschweren sich hingegen immer über die niedrige Reisegeschwindigkeit und fehlende Pferdestärken, loben aber die sehr guten Fahreigenschaften jenseits der asphaltierten Strassen.

Das ist kein Widerspruch, der Grund dafür liegt einfach daran, dass jeder die Himalayan an den Masstäben seines Spezialgebietes misst und da kann die kleine Inderin eben nicht mithalten.

Die Himalayan ist weder Onroad noch Offroad, vielmehr ist sie ein "Anyroad" Motorrad: Was immer auch irgendwo auf diesem Planeten als Strasse bezeichnet wird, dieses Motorrad kommt damit klar.

Für wen ist die Himalayan geeignet?

Klar ist, dass die Himalayan nicht jedermans Ansprüchen gerecht wird. Für wen also lohnt es sich, über die Anschaffung einer RE Himalayan nachzudenken? Und für wen lohnt es ich auf keinen Fall?

Völlig ungeignet

  • Für Leute, die einen preiswerten Rennhobel suchen.
  • Für alle, die eine preisgünstige Enduro haben wollen.
  • Für Fahrer, die die meiste Zeit auf der Autobahn fahren.

Akzeptabel

  • Für den Stadtverkehr. Natürlich ist ein Scooter hier die bessere Alternative, aber im Vergleich zu allen anderen Motorradtypen ist die Himalayan auch nicht schlechter dafür geeignet. Ein grosses Plus sind hier in jedem Fall die Alukoffer. Sie sehen nicht sehr gross aus, aber tatsächlich entsprechen die Masse dem maximal zugelassenen Grösse eines Kabinenkoffers! Wenn man dann noch eine grosse, regenfeste Tasche für den Gepackträger hat, dann tut es die Himalayan auch für grössere Supermarkteinkäufe besser, als viele andere Motorräder.

Ideal

  • Für Cruiser. Ob ein Tagesauflug, ein Wochenende oder ein ganzer Urlaub, die Himalayan ist ein tolles Gefährt, wenn man mit viel Gepäck den ganzen Tag auf dem Bock sitzt. Ob den Rhein rauf, die Mosel entlang, durch Frankreich oder einen ganzen Kontinent: die Himalayan tuckert zuverlässig den Weg entlang, egal wie lang der Tag ist.

Und die Kritikpunkte?

An dieser Stelle will ich einmal durch die Kritikpunkte gehen, die mir in den verschiedenen Reviews öfters begegnet sind.

Zu langsam und zu wenig PS?

Der Name des Motorrades ist keine realitätsferne Erfindung aus der Marketingabteilung sondern lehnt sich direkt an die Vorgaben während der Konzeptionsphase an: Ein Zweirad, dass optimal für Reisen im Himalaya geeignet ist. Autobahnen sucht man dort lange, deswegen spielt eine hohe Endgeschwindigkeit keine Rolle. Tankstellen sind da auch eher dünn gesäht, deshalb ist ein niedriger Spritverbrauch einer der wichtigsten Faktoren. Dafür gibt es viel Geröll, Pfützen, Rinnsale und Bäche, genährt von schmelzenden Gletschern. Unbefestigte Pisten überall. Ein Haufen PS hilft da nicht viel, dafür aber ein Motor, der gerade im unteren Drehzahlbereich in den niedrigen Gängen genügend Drehmoment hat. Natürlich gib es auch Asphalt und befestigte Strassen, hier muss die Maschine genug liefern, um zügig weiter zu kommen.

Natürlich sind solche Bedingungen in Europa die Ausnahme, aber die Himalayan lässt sich eben auch sehr schön auf Überlandstraßen und Landwegen fahren. Wer also auf seiner Reise lieber über Landstraße als über die Autobahn fahren und sich vielleicht auch mal in Skandinavien oder Marokko umschauen möchte, für den ist die Himalayan mit dieser Motorausstattung genau richtig.

Wer jetzt denkt, man könnte doch einfach den Motor durch einen stärkeren ersetzen, der liegt falsch. Mehr PS erfordern eine bessere Kühlung, ein besseres Bremssystem und die gesamte Rahmenstruktur müsste angepasst werden. Kurz, es wäre eben keine Himalayan mehr.

Nichts für große Leute?

Mit Motorrädern ist es wie mit Klamotten: was dem einen zwickt, passt dem anderen wie angegossen. Es kommt eben auf jeden einzelnen an. Ich bin mit 1.90m und 92 kg Gewicht kein Gartenzwerg und komme mit der Himalayan sehr gut zurecht. Auch auf langen Fahrten habe ich nicht das Gefühl, dass es unbequem wird.

Zu schwer?

Schwer ist sie mit rund 190 kg tatsächlich. Beim üblichen Handling fällt das nicht sonderlich auf. Wenn sie aber am Boden liegt, muss man schon gut gefrühstückt haben, um sie wieder in die Senkrechte zu wuchten. Das Fahrverhalten bei Seitenwind ist auch dank des relative hohen Gewichtes sehr gut.

Zu wenig Bodenfreiheit?

Mit mangelnder Bodenfreiheit habe ich bisher keine Probleme gehabt. Ich kann mich nur an einen Aufsetzer erinnern, bei dem aber kein Schaden entstanden ist. Ich denke, die Bodenfreiheit ist ein ausreichender Kompromiss. Ein paar cm mehr wären nett, solange andere Fahreigenschaften nicht beeinträchtigt werden.

Nicht für den täglichen Gebrauch?

Das ist der grösste Unfug, den ich in einem Review gelesen habe. Gerade die Himalayan ist besonders gut für den täglichen Gebrauch geeignet. Die aufrechte Sitzhaltung ist bequem, die grossen Alukoffer eignen sich für Laptop, Aktentasche, Einkauf beim Supermarkt und vielem mehr. Der zweitgrösste Unfug kam aus einem Review aus den UK, wo die beiden Autoren zu dem Schluss kamen, dass die Himalayan nicht für lange Strecken zu gebrauchen sei, und zwar auf Grund ihrer niedrigen Endgeschwindigkeit.

Tankschutzbügel

Gerade bei Reviews aus Indien kam öfter mal Kritik an den Tankschutzbügeln. Sie wären überflüssig und man sollte stattdessen einfach das Tankvolumen erhöhen. Ich bin da völlig anderer Meinung. Die Bügel sind nicht (nur) als Schutz für den Tank im Falle eines Sturzes gedacht. Es sind vielmehr Haltevorrichtungen, an die sich, wenn nötig, sowohl Reservekanister als auch Taschen anbringen lassen. In Europa wird man vielleicht höchstens mal in Nordnorwegen Zusatzkanister brauchen, dafür sind zusätzliche Bügeltaschen bei langen Reisen auch hierzulande ein echtes Plus!

Kompass

Ja, auf der Amatur gibt es tatsächlich einen Kompass. Ich gebe zu, dass ich das am Anfang für ein überflüssiges Gadget gehalten habe. Mittlerweile bin ich dank ihm einige Male frühzeitig auf Navigationsfehler aufmerksam geworden. Auf bekannten Strecken braucht man ihn nicht aber auf längeren Reisen ist er ein gutes Backup für das Navi.

Ständer

Der Ständer ist etwas zu lang und nicht regulierbar, dass wird in vielen Reviews angemerkt und das kann ich auch bestätigen. Allerdings soll dies bei dem neuesten Modell korrigiert worden sein.

Temperaturanzeige

Dies ist das einzige, wo es wirklich was zu meckern gibt. Der Temperaturfühler ist so nah am Motor angebracht, dass er schon nach wenigen Kilometern so eine Art Mischung aus Umgebungstemperatur und Motortemperatur angezeigt bekommt. Vielleicht hat das ja irgendeinen Sinn, den ich noch nicht kenne, bisher bin ich aber noch nicht auf eine vernünftige Erklärung gestossen.

Was kostet der Spaß?

Zum Abschluss einige Infos zu Anschaffungs- und Unterhaltskosten. Die Himalayan kostet mit Alukoffern und Sturzbügeln etwas mehr als 5.000 Euro, ein unschlagbarer Preis für ein neues Motorrad. Allerdings sollte man die Himalayan nicht wegen des Preises kaufen; wer von dem Konzept nicht überzeugt ist, wird mir ihr nicht glücklich.

Im Unterhalt ist sie ebenfalls ein echtes Sparschwein: Auf einer Strecke von 2.000 Kilometern brauchte meine RE Himalayan ziemlich genau 60 Liter, das entspricht 3 Litern auf 100 Kilometern und ist deutlich weniger, als mein Vespa 125 LX verbraucht! Ölwechsel ist alle 10.00 Killometer fällig. Alle 5.000 Kilometer soll wechselweise eine kleine und eine grosse Wartung gemacht werden. In den ersten Jahren empfielt es sich, diese auch tatsächlich beim Vertragshändler oder in der Werkstatt durchführen zu lassen, dadurch gibt es keine Probleme, wenn Garantieansprüche geltend gemacht werden müssen. Wer es sich zutraut (und darf), kann später Ölwechsel und kleinere Wartungsarbeiten selbst machen. Die Pirelli MT 60 sollte man bei etwa 15.000 km runterwerfen oder wenigstens genau im Auge behalten.

Auf Grund ihres Hubraums von 410 ccm fällt nicht viel an KFZ Steuer an und die 24.5 PS machen sich bei der Versicherung angenehm bemerkbar.