Mehr als einmal habe ich von Leuten Anfang dreißig gehört, sie seien schon zu alt, um eine neue Sprache zu lernen. Papperlapap. Noch schlimmer sind Aussagen dieser Art, wenn sie von Mitarbeitern aus der Personalabteilung kommen: "Wer über vierzig ist, ist für diesen Job nicht mehr zu gebrauchen." Der Satz ist vor allem im IT-Bereich sehr beliebt. Alles Quatsch.
First published: 08/01/2021 | Last update: 04/02/2021
Wir verbinden mit bestimmten Altersgruppen bestimmte Attitüden, Fähigkeiten und auch Einschränkungen. Wir übersehen dabei, dass Menschen sich wandeln, die einen mehr, die anderen weniger. Deshalb gibt es unter den Mitarbeitern solche, die tatsächlich mit dem Alter obsolet werden und solche, die an Wert gewinnen, je älter sie werden. Weil sie nämlich zu den neuen Fähigkeiten und Kenntnissen, die sie permanent erwerben, auch ihre alten bewahren. Nicht alles wird besser im Alter, aber vieles
Natürlich lässt die Leistungsfähigkeit ab einem bestimmten Alter nach. Ich wäre heute gar nicht mehr fit genug, vor Deadlines die Arbeitsmarathons hinzulegen, die ich vor fünfzehn Jahren manchmal gemacht habe - drei Tage mit zehn Stunden Schlaf und die letzte Nacht durcharbeiten um morgens um sieben in die Druckerei zu fahren und dort höchstpersönlich noch die Belichtung in der Vorstufe zu machen. Ich bin dazu aber auch gar nicht mehr bereit. Mit dem Alter lernt man, dass die Firma nicht explodiert, wenn ein Ziel nicht erreicht wird. Die Erde bleibt nicht stehen, niemand stirbt (es sei denn man ist Notfallchirurg) und kein Stern kollabiert und verwandelt sich in ein schwarzes Loch, wenn eine Deadline um eine Woche überzogen wird.
Zwar kann man Buchstaben nicht mehr aus der Nähe erkennen, aber dafür Dummköpfe schon von Weitem.
Im Alter hat man viel gesehen. Spätestens nachdem man sich selbst zwei Wochen lang schamlos körperlich und psychisch ausgebeutet hat um mitzuerleben, dass nach der Übergabe an den Kunden das Projekt zwei Monate vor sich hinschimmelt, überlegt man sich, ob jede Deadline diesen Raubbau an sich selbst wert ist. Man lernt zu unterscheiden, wann etwas wirklich wichtig ist und wann etwas nur so aussieht. Man lernt, die Prioritäten von anderen nicht blind zu übernehmen. Und wenn dann wirklich voller Einsatz nötig ist, hat man im Alter vielleicht gelernt, sich von Nebenschauplätzen fern zu halten und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Jeder Jeck ist anders
Ob und wieviel jemand sich weiterentwickelt, ist individuell verschieden. Aber ich bin davon überzeugt, dass es weniger eine Sache der Veranlagung als der persönlichen Einstellung ist.
Bei den Menschen, die sich kontinuierlich weiterentwickeln, gibt es natürlich auch große Unterschiede. Allerdings haben viele eines gemeinsam: Sie wissen, was sie nicht können und sind bereit, daran etwas zu ändern.
Es gibt ein paar Zeichen, an denen man Mitarbeiter erkennen kann, die alt im Kopf sind. Der Satz "Das haben wir bisher immer so gemacht" ist eins davon. Auch bei Änderungen in der IT-Infrastruktur trennt sich die Spreu vom Weizen: Wer sich jedesmal beschwert, wenn sich am Inventar der Applikationen etwas ändert, der ist möglicherweise bereits mental vergreist, auch wenn er erst Mitte zwanzig ist. Das gleiche gilt auch für Mitarbeiter, die bei jedem Fortbildungsangebot ein langes Gesicht ziehen.
Bei Entwicklern lässt sich das mentale Alter daran festmachen, ob sie sich nicht nur für ihre Stammsprache interessieren, sondern auch mal schauen, was es sonst noch alles gibt. Und wer selbst Vorschläge zu neuen Werkzeugen, Modulen oder allgemein Lösungsansätzen macht statt zu warten, bis man ihm irgendetwas vorsetzt, der ist wahrscheinlich auch noch jung im Kopf wenn er nur noch fünf Jahre bis zur Rente hat.
Ich kann mich noch gut an die Gespräche im Bekanntenkreis meiner Eltern erinnern. Wie Trophäen wurden die Jahre gezählt, die man immer an den gleichen Ort in Urlaub fuhr. "Fünfzehn Jahre nach Julianadorp und nächstes Jahr geht's wieder hin". Wer heute zum dritten Mal an den gleichen Ort fährt, hüllt darüber meist verlegen den Mantel des Schweigens.
Zu dieser Zeit gab es in den Firmen jedes Jahr Ehrungen für fünfundzwanzig, dreißig und mehr Jahre Firmenzugehörigkeit. Heute kann man schon mit fünf Jahren in einer Firma zu den Veteranen gehören.
Früher, das war die Zeit der Stahl- und Bergbaukrisen. Plötzlich standen tausende Menschen, die ihr Leben lang der gleichen Firma angehört hatten, auf der Straße und wußten nicht, wie sie damit umgehen sollten.
Mit traurigem Blick und in mitleidigem Ton teilte man damals der jungen Generation mit, dass die Zeiten der sicheren Arbeitsplätze vorbei sei, dass man in den Firmen kein lebenslanges Refugium mehr finden würde und man sich immer auf etwas Neues einstellen müsste.
Wir waren betroffen und hatten Angst vor der Zukunft - bis wir feststellten, dass das ja eigentlich gar nicht so schlecht war. Geil! Immer was Neues!
Mit der atemberaubenden Geschwindigkeit, mit der sich Technologie fortentwickelt, ist auch die Arbeit in der heutigen Zeit ständigem Wandel unterworfen. Das erfordert Mitarbeiter, die in der Lage sind, mit diesem Wandel Schritt zu halten, mit Alter hat das wenig zu tun.
Man sollte bei einem Bewerbungsgespräch nicht unbedingt nach dem Alter fragen, sondern versuchen, das geistige Alter des Bewerbers zu erfassen. Wann haben Sie zum letzten Mal etwas Neues gelernt? Einen Kurs gemacht? egal ob privat oder beruflich. Kennen Sie die aktuellen Trends? Schon mal was von agile gehört? Ach ja, was ist eigentlich aus dem Basar und der Kathedrale geworden?
Wenn der Personalchef in ihrer Firma immer noch das Geburtsdatum für ein Auswahlkriterium hält, könnte es sein, dass er vielleicht zu alt ist für seinen Job. Zu alt im Kopf.