Kennen Sie den auch? den Arbeitskollegen, der den ganzen Tag Möhrchen knabbert? Den Freund, der einem jedes Mal zum Essen Quinoa auftischt und sich als Nachtisch zwei Spirulina-Kapseln einwirft? Sie sind manchmal nervig, aber was viel schlimmer ist: sie sind auf einem Tripp, der unter bestimmten Umständen ein schlimmes Ende nehmen kann, wie das Beispiel von Steve Jobs zeigt.
First published: 16/01/2021 | Last update: 04/02/2021
Das Beispiel Jobs zeigt aber auch, dass nicht selten bemerkenswert erfolgreiche oder intelligente Personen dem Superfood-Wahn verfallen. Mit Dummheit allein ist das Phänomen der Superfood-Gläubigkeit nicht zu erklären.
Es kommt darauf an, wie man den Begriff definiert. Im allgemeinen werden solche Lebensmittel als "Superfood" bezeichnet, denen eine besonders gesundheitsfördernde, manchmal auch heilende Wirkung zugeschrieben wird. Dabei gehen die Aussagen of soweit, dass die angebliche Heilwirkung weiter geht, als die Wirkung von allgemein gebräuchlichen Therapien aus der evidenzbasierten Medizin. Aber auch ohne diese Übertreibungen sind die Aussagen oft nicht zutreffend. Dabei stützen sie sich nicht selten auf seriöse, wissenschaftliche Studien.
Allerdings sind die in solchen Studien nachgewiesenen Wirkungen in der Regel nicht einfach auf die menschliche Ernährung übertragbar, weil sie entweder in-vitro durchgeführt wurden oder in vivo an Tieren.
Ein einfaches Beispiel dafür ist Kurkuma. Dem aus den südasiatischen Tropen stammenden Gewürz werden zahlreiche medizinische Wirkungen zugeschrieben. Tatsächlich gibt es zu fast allen Wirkstoffen, besonders Curcumin, Studien von denen viele wissenschaftlichen Standards entsprechen. Die Ergebnisse einiger Studien, besonders in Bezug auf die postulierte, wachstumshemmende Wirkung auf Krebszellen sind widersprüchlich, bei anderen Studien konnten die Resultate in-vitro bei klinischen Tests nicht beim Menschen nachgewiesen werden. Bei Kurkuma kommt hinzu, dass die Bioverfügbarkeit der Wirkstoffe bei oraler Einnahme äusserst gering ist, was die mangelhafte Übertragbarkeit der Studien auf den Menschen erklären kann.
Das bedeutet nicht, dass Kurkuma gar keine Wirkung hätte, so liefern einige Studien Hinweise auf eine schmerzlindernde und entzündungshemmend Wirkung bei Arthrose, die Bioverfügbarkeit von Kurkuma lässt sich über die Kombination mit anderen Stoffen erhöhen. Das Fazit aus diesem Beispiel lässt sich auf viele ander Superfoodkandidaten übertragen: Es gibt Hinweise auf oder sogar Nachweise von einer positiven Wirkung im menschlichen Organismus, das macht ein Lebensmittel aber noch lange nicht zum Allheilmittel!
Je nach dem, wer von Superfood spricht, geht das Spektrum von "letzter Hoffnung", über "Spinnerei" bis hin zu "unverschämten Marketingschwindel". Und leider kann von "harmlos" nicht die Rede sein. Nicht wenige Inhaltsstoffe, die ein ganz normales Lebensmittel zum Superfood machen sollen, sind bei erhöhter Dosierung nämlich schädlich. Ein vergleichsweise harmloses Beispiel dafür ist Salbei. Die für ihre entzündungshemmende Wirkung bekannte Heilpflanze wird auch von Medizinern regelmässig zur Behandlung von entzündlichen Krankheiten in Mund, Rachen und Nebenhöhlen empfohlen. Allerdings der in der Pflanze enthaltene Wirkstoff Thujon ist ein Nervengift, weshalb es zu Kopfschmerzen, Schwindel und Benommenheit kommen kann, wenn man es mit der Einnahme all zu sehr übertreibt.
Bei den meisten Lebensmitteln und Heilpflanzen bleibt es bei Unwohlsein, Durchfall, Kopfschmerzen oder anderen Symptomen, wenn man es wirklich übertreibt. Es gibt aber auch gefährliche Ausnahmen. Der lange als Superfood gehypte Grüntee kam in die Schlagzeilen, als aus den USA mehrere Fälle von schweren Leberschäden durch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln auf der Basis von Grüntee bekannt wurden. Grüntee enthält sehr viel Katechine, die bei ein paar Tässchen am Tag keinerlei Schaden anrichten, aber bei hoher Konzentration schwere Schäden an der Leber und auch der Niere verursachen.
Diese Beispiel zeigt gleich drei Probleme von Superfood als umsatzstarkes Produkt in der Nahrungsmittel- und Nahrungsergänzungsmittel-Industrie.
Ersten baut der Hype eine unrealistische Erwartungshaltung beim Konsumenten auf. Dadurch, dass die Erwartungen des Kunden nicht erfüllt werden, wird immer mehr von diesem Food konsumiert, bis es schliesslich zu extrem hohen Konzentrationen im Körper kommt. Im Fall von Steve Jobs wurde er auf Grund seiner Möhrchendiät lediglich rötlich/orange, bei anderen Lebensmitteln mit bei hoher Konzentration toxisch wirkenden Inhaltstoffen, kann der Konsum im Krankenhaus oder gar auf dem Friedhof enden.
Zweitens kann es sein, dass Superfoods erst durch die Verarbeitung zu Nahrungsergänzungsmitteln erst gefährlich werden, weil dadurch die Konzentration von Wirkstoffen so hoch wird, dass bei einem Missbrauch dieser Mittel Schäden auftreten können.
Und schliesslich verführt die an ein Lebensmittel geknüpfte Erwartung nicht wenige Menschen zu einer "Behandlung" mit einer Superfood-Diät in Fällen, wo ein Arztbesuch dringend angeraten ist. Auch Steve Jobs war überzeugt, seinen Pankreaskrebs mit Smoothies heilen zu können.
Doch! Wenn es einem schmeckt, wieso nicht? Auf Grund der unglaublichen Vielzahl von Nahrungsmitteln ist es heute leichter als je zuvor, sich abwechslungsreich und lecker zu ernähren. Während es bei unseren Grosseltern von Montag bis Sonntag immer Kartoffeln gab, können wir heute wochenlang kochen ohne ein einziges mal die Lieferanten für Kohlenhydrate in unseren Hauptmahlzeiten zu wiederholen: Kartoffeln, Nudeln, Reisnudeln, Reis, Wildreis, rote Linsen, schwarze Linsen, Chia, Hirse, Mais, Quinoa, Amaranth, Couscous, Mungbohnen und so weiter, die Liste lässt sich beliebig forsetzen. Das gleiche gilt für die heutige Vielfalt von Obst, Gemüse, Salatsorten und anderen Lebensmitteln.
Durch das ständige Variieren von Zutaten und Beilagen wird das Essen nie langweilig. Das ist gut für den Gaumen und die Gesundheit. Das abwechslungsreiche Essen macht es ausserdem fast unmöglich, von einem einzigen Lebensmittel eine Menge zu konsumieren, die der Gesundheit abträglich sein könnte.
Wichtig ist vor allem, jedem all zu euphorisichen Lobpreis eines Lebensmittels kritisch gegenüber zu stehen. Vor allem sollte man eine einseitige Ernährung mit einem "Superfood" vermeiden. Es bringt nichts, sich wochenlang von Broccoli oder Chia zu ernähren: man nimmt davon nicht ab, die Cellulitis wird nicht weniger und der Sixpack nicht grösser.
Und zum Abschluss noch ein Tipp: viele Kräuter, die wir meistens als Tee konsumieren, eignen sich auch als Zutat für den Salat oder beim Kochen: Pfefferminze und Salbei peppen jedem Salat zu einem kleinen Geschmackserlebnis auf und ein paar Ästchen Rosmarin im Kockwasser der Kartoffeln sollte man unbedingt mal ausprobieren.