Seit Unterzeichnung der Carta Magna von Bologna 1988 gibt es anhaltende Bestrebungen, Studiengänge europa- und weltweit zu vereinheitlichen und die Anerkennungsverfahren zu vereinfachen. Die bisher erzielten Fortschritte können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in vielen Berufsfeldern immer noch eklatante Unterschiede gibt, so zum Beispiel bei den Physiotherapeuten.
First published: 21/08/2022 | Last update: 28/08/2022
In der Ausgabe vom September 2019 der Zeitschrift Fisioteràpia al dia, die vom Ilustre Colegio de Fisioterapeutas de Alicante herausgegeben wird, erschien ein dreizehnseitiger Artikel, in dem zwölf Physiotherapeuten, die in unterschiedlichen Ländern gearbeitet haben, zu ihrer Ausbildung, Kompetenzen und Arbeitsbedingungen gefragt wurden.
Die Liste der im Artikel besprochenen Länder umfasst dreizehn sehr unterschiedliche Länder wie USA, Russland, Kuba, Australien, Island und auch Deutschland. Aber nicht nur die Länder selbst, auch das Berufsbild des Physiotherapeuten ist sehr unterschiedlich. In einigen Ländern ist Physiotherapie ein Ausbildungsberuf, in anderen ein Hochschulstudium. Mancherorts dürfen Physiotherapeuten nur unter ärztlicher Anweisung arbeiten und in anderen Ländern sind sie völlig selbständig. Es gibt Länder, in denen die Therapeuten in Gremien organisiert sind, manchmal freiwillig, manchmal verpflichtend und andere, in denen es keinerlei Organisation gibt. Es ist also nicht verwunderlich, dass zwischen Physiotherapeuten in Deutschland und Spanien ebenfalls grosse Unterschiede bestehen.
In Spanien absolvieren Physiotherapeuten ein vierjähriges Hochschulstudium. Die Mindestnote für einen Studienplatz schwankt von Universität zu Universität, ist aber überall eine der höchsten (zwischen 11 und 13.5 von 14), kurz hinter Medizin.
Als Beispiel ist im Folgenden der Studiengang der Physiotherapie der Universidad Miguel Hernández in Elche beschrieben.
Pro Semester sind fünf Fächer vorgesehen und im ersten Studienjahr müssen alle belegt werden. Ab dem zweiten Studienjahr wird es etwas flexibler, es können Fächer aus späteren Semestern hinzugenommen oder eigentlich vorgesehene Fächer nicht belegt werden. Für jedes belegte Fach fällt eine Studiengebühr von 20 Euro je ETCS an, das entspricht in der Regel 120 Euro pro Fach oder 1.200 Euro pro Jahr.
Während des gesamten Studiums wird jedes einzelne Fach von einem Praktikum begleitet. Es gibt keine Präsenzpflicht für den theoretischen Unterricht, sehr wohl aber für alle Praktika.
Am Anfang des Studiums werden, ähnlich wie im Medizinstudium, grundlegende Kenntnisse vermittelt, wobei Anatomie eine besondere Bedeutung zukommt. Das Praktikum der Anatomie wird nicht nur an Modellen, sondern auch an Präparaten und Leichen durchgeführt, wenigstens an den Universitäten, in denen das Studium der medizinischen Fakultät angegliedert ist.
Nachdem im ersten Jahr mit Fächern wie Anatomie, Physiologie, Humanbiologie, Biochemie und Psychologie die Grundlagen geschaffen wurden, richtet sich im 2. Studienjahr das Augenmerk zum einen auf Pathologie und die Einführung in die Therapien, die in der Physiotherapie angewendet werden.
Im dritten und und vierten Jahr findet sowohl eine Vertiefung als auch eine Spezialisierung statt. Besonders im letzten Studienjahr sorgen mehrere klinische Praktika für einen soliden Praxisbezug.
Das Studium wird mit einer wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Physiotherapie abgeschlossen. Eine Promotion zur Erlangung des Doktortitels ist möglich. Zur Berufsausübung ist der Beitritt zum Colegio der jeweiligen Provinz verpflichtend. Physiotherapeuten in Spanien können eigenständig arbeiten und sind nicht auf Anweisung eines Arztes angewiesen. Im Allgemeinen ist die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Physiotherapeuten gut. Physiotherapeuten haben weitreichende Befugnisse, sie dürfen im Rahmen ihrer Tätigkeit Diagnosen stellen und bei entsprechender Qualifikation invasive Verfahren wie Gelenkinfiltrierungen ausführen. Der Einsatz von bildgebenden Verfahren (im Wesentlichen Ultraschall) ist selbstverständlich und für invasive Behandlungsmethoden notwendig.